Victory Garden – wenn aus der Not eine Tugend wird
Glücklicher und gesünder durch Selbstversorgung
‚Victory Garden‘, ‚Siegergärten‘, ‚Kriegsgärten‘ oder auch ‚Gemüsegärten für die Verteidigung‘ all dies sind Begriffe, die zwar teils unterschiedlichen Zeiten und geografischen Standorten zuzuordnen sind, doch im Grunde ein und dasselbe Ziel verfolgten – die Versorgung von Lebensmitteln für den eigenen Haushalt und die lokale Gemeinschaft aufgrund von unzureichender Nahrungsmittelversorgung in Krisenzeiten.
Während die Selbstversorgung heutzutage ein beliebtes Hobby von Garten- und Kleingartenbesitzern ist, wurde die Bevölkerung in verschiedenen Ländern wie den Vereinigten Staaten, Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich von der Regierung dazu aufgefordert, private Grünflächen und öffentliche Wiesen und Parks mit Gemüse, Obst und Kräutern zu bepflanzen, um den Druck der Lebensmittelknappheit während des ersten Weltkriegs zu verringern. Da Bauern und Arbeitskräfte für die Armee mobilisiert wurden, viele Farmen durch den Krieg zerstört wurden und auch die Infrastruktur für den Transport von Lebensmitteln in Mitleidenschaft gezogen wurde, musste eine Lösung her, die den hinterbliebenen Menschen während des Krieges vor Ort eine zuverlässige Nahrungsquelle verschaffte. Diesem Aufruf folgten die Amerikaner und schon nach kurzer Zeit erblühten landesweit mehr als 5 Millionen ‚Victory Gärten‘ in den U.S.A.. Die Hungersnot zwang die Menschen Gemüse, Kräuter und Obst anzubauen – was die Menschen jedoch nicht wussten, ist, dass diese Tätigkeit sie nicht nur vor dem Hungertod schütze, es schützte sie während des Krieges, der Zerstörung und der Trauer um Angehörige auch vor Depressionen und Hoffnungslosigkeit. Das Arbeiten in der übrig gebliebenen Gemeinschaft an der frischen Luft und die stetigen Erfolgserlebnisse sowie die nährstoffreiche Ernährung und das Teilen der Ernte mit Bedürftigen bescherten ihnen Glücksgefühle und eine sinnvolle Tätigkeit in diesen tristen Zeiten.
Knapp 25 Jahre später trat die U.S.A. dann mit dem Angriff der Japaner auf die Pearl Habour dem zweiten Weltkrieg bei. Dieser Angriff hatte zur Folge, dass etwa 120.000 Japaner und japanischstämmige Amerikaner der Westküste inhaftiert wurden. Warum ist diese Information wichtig, wenn es hier doch um die Geschichte der Selbstversorgung geht, fragst Du Dich? Nun ja, diese Menschen waren zumeist Landwirte, die etwa 40 % der Versorgung pflanzlicher Lebensmittel in ganz Kalifornien ausmachten. Damit diese große Lücke der Nahrungsversorgung durch die Inhaftierung also geschlossen werden konnte, wurden die Ländereien dieser Menschen an amerikanische und europäische Einwanderer übertragen. Hier gab es jedoch in großes Problem. Die neuen Besitzer der Ländereien waren nicht vertraut mit dem staubtrockenen kalifornischen Klima, wodurch die Ernten mehr als dürftig ausfielen. Dieser Teil der Historie war ein maßgeblicher Faktor für die notdürftige Lage der Lebensmittelknappheit. Die Regierung erinnerte sich an das erfolgreiche Konzept der ‚Victory Gärten‘ und rief die Menschen wieder dazu auf, jeden nur möglichen Platz zu nutzen, um die Lebensmittelversorgung vor Ort zu sichern. Öffentliche Parks, Wiesen, Hausdächer und Gärten sollten zum Anbau für Gemüse und Kräuter genutzt werden. Um möglichst erfolgreiche Ernten zu sichern, wurden von der Regierung ‚Richtlinien zur Förderung der Victory Gärten‘ verfasst und über Handzettel an die Einwohner verteilt.
Nach einer anfänglichen Zeit des Zögerns war es die First Lady Eleonor Roosevelt persönlich, die den berühmten Garten des Weißen Hauses nutze, um als Vorbild für die Nation vorauszugehen und einen üppigen Gemüsegarten anlegte. Dass selbst eine der einflussreichsten und vermögendsten Frauen des Landes die Notwendigkeit sah, Gemüse anzubauen, um die Versorgung von Lebensmitteln und gesunden Nährstoffen für die Bevölkerung zu sichern, setzte ein starkes Zeichen, wodurch Millionen von Amerikanern ihrem Beispiel folgten, und begannen, ihre eigenen Victory Gärten anzulegen. Wenige Jahre später machten die privaten Gemüsegärten fast die gesamte nationale Pflanzenproduktion aus.
Warum ist Selbstversorgung heute noch wichtig?
Seit einigen Jahren erfreuen sich das Prinzip der Selbstversorgung und das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung wieder großer Beliebtheit. Ein berühmtes Beispiel für diese Lebensphilosophie ist wohl Michelle Obama, welche dem Beispiel ihrer Vorgängerin ebenfalls folgte, allerdings über 60 Jahre später. Die First Lady ließ Roosevelts Gemüse- und Obstgarten 2009 zusammen mit lokalen Grundschülern wieder aufleben und wollte damit zu einer gesünderen Ernährung der amerikanischen Bevölkerung aufrufen. Während ein Teil der Ernten für die Sterneküche des Weißen Hauses genutzt wurde, konnte die übrige Ernte an eine Versorgungsküche für Bedürftige gespendet werden. Die Kinder durften den gesamten Prozess von der Pflanzung bis zur Ernte begleiten.
Der Begriff ‚Lebensmittel‘ kommt nicht von ungefähr, wir benötigen Nahrung, um zu überleben. Kindern das wertvolle Wissen zu vermitteln, wie man Lebensmittel erzeugt, ist eines der größten Geschenke, die wir ihnen machen können. Es trägt einen großen Anteil zu ihrem Bewusstsein für die Umwelt und die gesunde Ernährung und stärkt zudem ihr Unabhängigkeitsgefühl.
Und auch wenn die Selbstversorgung heute nicht mehr unbedingt aus der großen Not und der Angst vor dem Verhungern heraus praktiziert wird, sind die Vorzüge dieser Tugend dennoch die gleichen wie vor 100 Jahren.
Sowohl die Gartenarbeit als auch das Helfen deiner Mitmenschen wirken sich absolut förderlich auf die mentale Gesundheit aus. Das Teilen beschert uns Glücksgefühle, weil wir von Natur aus soziale Lebewesen sind. In schweren Zeiten ist es wichtig, eine sinnerfüllte Aufgabe zu haben. Das Gärtnern mit der eigenen Familie schafft einen neuen Gemeinschaftssinn, eine gemeinsame relevante Aufgabe mit direkt sichtbarem und schmeckbarem Ergebnis. Auch das Arbeiten an der frischen Luft und die Aufnahme von Sonne, das händische Arbeiten mit Erde und das Wahrnehmen all der wunderbaren Gerüchte tragen zum Wohlbefinden bei und stärken die Verbindung zur Natur, welche in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Diese Verbindung mit der Familie, dem Partner oder der Nachbarschaft wiederzufinden ist eine sehr wertvolle Erfahrung, die viele Menschen mit großem Glück erfüllt. Das eigene Gemüse aus dem Garten zuzubereiten und die übrige Ernte für den Winter einzumachen oder diese an den Kindergarten, das Seniorenheim oder die Schule der eigenen Kinder zu spenden, leistet nicht nur einen Beitrag zum Gemeinschaftsgefühl, es motiviert die Menschen auch, sich gesünder zu ernähren und leistet einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz.
Für alle, die also mehr für ihre Gesundheit, ihre Mitmenschen und die Natur tun möchten, ist das wunderbare Prinzip des Victory Gardens eine tolle Möglichkeit, all diese Vorhaben zu vereinen.
Letztendlich versorgst Du eben auch Dich selbst mit dem liebevoll herangezogenen Gemüse aus deinem Garten. Und eins ist klar; eine selbst gezogene Zucchini schmeckt um Meilen besser als jede gekaufte Zucchini, denn Du hast deine Zeit, Mühe und Liebe ist dieses Gemüse gesteckt und zugesehen, wie sie sich langsam aus einem Samen zu einer prächtigen Pflanze mit schmackhaften Sommerkürbissen entwickelt hat.
Hierbei geht es nicht darum, nie wieder einen Supermarkt zu betreten und sich wirklich ausschließlich aus dem eigenen Anbau zu ernähren – natürlich ist das mit viel Disziplin und Verzicht möglich – letztendlich geht es aber darum, wieder zur Natur zurückzufinden und uns selbst und den folgenden Generationen wieder beizubringen, wo die Lebensmittel herkommen, wie man diese anbaut und welche Arbeit und Mühe in dieser Tätigkeit liegt. Es geht darum, das Bewusstsein zu erweitern und Lebensmittel nicht als etwas immer Verfügbares, Selbstverständliches anzusehen, das man sich in grenzenlosen Mengen im Supermarkt kaufen kann. Es geht um den Respekt der Natur, der Gesellschaft und letztlich auch sich selbst gegenüber. Wir alle können unseren Beitrag leisten, ob nun der Zwergobstbaum und die Tomatenpflanzen auf dem Balkon oder dem Hausdach mitten in der Großstadt oder der groß angelegte Gemüsegarten auf dem eigenen Hof. Auch Möglichkeiten zum Urban-Gardening gibt es mittlerweile in fast allen Städten. Gelegenheiten zum Gärtner als Auszeit vom stressigen Alltag gibt es viele. Nutze sie und habe viel Freude beim Sähen, Beobachten, Pflegen, Ernten und Verzehren deiner eigenen Lebensmittel. Denn dieser einzigartige Geschmack ist einfach nicht käuflich.